„Demokratie ist die einzige Staatsform, die gelernt werden muss“, hält der Sozialphilosoph Oskar Negt fest und weist damit darauf hin, dass Demokratie nicht einfach passiert. Es bedarf eines speziellen Wissens – nämlich der politischen Bildung – damit Menschen sich einbringen können und sich soziales Miteinander entlang demokratischer Grundwerte bewegt.
Auf Spurensuche in den Bildungswerken
Die allgemeine Erwachsenenbildung – so wie wir sie in den Bildungswerken leben – leistet dazu viele wertvolle Beiträge. In der diesjährigen Tagung des Rings Österreichischer Bildungswerke gingen ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter/innen der Mitgliedsorganisationen auf eine interessante Spurensuche zur Vielfalt der eigenen Wirkungsweise.
Helene Stinakovits vom BhW Kottingbrunn berichtete von ihrer Initiative Zigarettenstummel vor der Volksschule einzusammeln und die falsch entsorgten Tschick in einer Flasche beim Elternabend auszustellen. Nachhaltig thematisiert hat sie damit das umweltschädigende Wegwerfen von Zigaretten und eines der großen Probleme in jeder Gemeinde: Müll im öffentlichen Raum. Gemeinsam mit Margit Weinmeyer vom BhW Paasdorf ging sie damit sehr anschaulich Good-Practice-Ideen nach, mit denen durch kleine Impulse viel bewirkt werden kann. Insbesondere ging es den beiden erfahrenen Bildungswerkleiterinnen darum, wie man viele Menschen erreichen kann. Margit Weinmeyer erzählte von ihrer Elternbildungsrunde, die sich als Plattform für weitere Aktionen in der Gemeinde etabliert hat: Offen, ohne Zugangshürden, mit herzlicher Willkommenskultur und Raum selbst aktiv zu werden.
Mangelnde Beteiligung hängt von sozioökonomischen Status ab
In seinem Eröffnungsvortrag unterstrich Günther Sandner von der Universität Wien eine der vielen Ursachen, warum Demokratieentwicklung notwendig ist: Viele Beispiele und Studien zeigen, dass sich untere soziale Schichten an demokratischen Prozessen weniger beteiligen (können). Bildungsniveaus bleiben also unter sich, Bildung ist vererbbar. Das führt dazu, dass sich ebenso ungleich auch die politische Partizipation verhält. Sandner zählt auf, dass bei der Wahrnehmung des Wahlrechts, der Beteiligung an Demonstrationen oder beim freiwilligen Engagement höhere Einkommensschichten mit einem größeren Anteil mitgestalten. Im Übrigen gelte dies auch für unkonventionelle Beteiligungsformen – wie beispielsweise die Flashmobs. Die würden ebenfalls wieder von sozial Schwächeren aufgrund höherer Hemmschwellen weniger genutzt werden können.
Um sich zu beteiligen, bedarf es also dem Wissen, wie man sich beteiligen kann, welche Institutionen wofür zuständig sind, wie die Kommunikation/das Einbringen dort funktioniert. Primäres Ziel für eine Demokratiebildung ist es folglich, Bildungsungerechtigkeiten auszugleichen. Schauen wir nun in die unmittelbare Arbeit unserer Bildungswerke, dann finden wir dort wichtige Bildungsangebote, die es ermöglichen, über gesellschaftliche Themen zu sprechen – wie etwa die Erzählcafés von Silvia Riebl aus dem BhW Breitenfurt – an Diskussionen teilzunehmen oder das politische System kennenzulernen. In diesen Diskursen werden Wissen und Fähigkeiten vermittelt, die zur Wahrnehmung demokratischer Möglichkeiten notwendig sind.
Informelle Formen ermöglichen Lernen durch Handeln und Motivation zur Beteiligung
Darüber hinaus bieten die Bildungswerke noch viele informelle Formen der politischen Bildung an. Das gilt für fast alle Veranstaltungen, auf denen sich nicht unmittelbar „Politische Bildung“ im Untertitel befindet. Gemeint sind damit Angebote aus den Bereichen Gesundheit & Bewegung, Familie & Generationen, Kunst, Kultur & Kreativität oder Natur & Umwelt. Beobachtbar ist in diesen Bildungsangeboten, dass das Lernen durch Handeln und die Motivation zu einer Partizipation in der Gemeinde im Vordergrund stehen. Ob Elternbildung, Handarbeitskreis oder Bewegungszirkel – sie stärken das Gemeinwesen und öffnen Räume für einen weiteren Austausch zu einer Beteiligung. Häufig ist dann der Weg nicht weit, aktiv an einem weiteren Angebot mitzuwirken. BhW-Leiterin Tatjana Nikitsch teilte dazu ihre Erfahrungen aus der langjährigen Bildungswerktätigkeit in Markt Piesting. Franz Raab ergänzte Angebote, die beispielsweise Senior/innen das Smartphone erklären und sie damit befähigen, am digitalen Leben teilzunehmen.
Was ist der eigentliche Kern der politischen Bildung?
Politische Bildung heißt, die eigenen Interessen vertreten zu können. Dazu bedarf es eines institutionellen Wissens und der entsprechenden Rhetorik. Instrumente also, die dazu befähigen, Themen zu erkennen, Lösungsansätze zu formulieren und diese bei den zuständigen Stellen vorzutragen. Gleichzeitig geht es aber darum, zuhören zu können, was andere dazu sagen und Systeme und ihr Zusammenwirken zu verstehen. Was sich abstrakt anhört, lässt sich gut in den Gemeinden veranschaulichen. Soll aus dem kurz geschnittenen Gemeinderasen nun doch eine Insektenwiese werden, tut man gut daran, die Bevölkerung über die Vorteile des neuen Lebensraumes für Insekten weiterzubilden, bevor Unmut über die vermeintlich schlecht gepflegten Grünflächen entsteht. Nur so gelingt nachhaltige Veränderung auf kommunaler Ebener. Nämlich durch den Einbezug und die Information der Bürgerinnen und Bürger. Demokratie braucht also Bildung.
Beitrag von Therese Reinel, Dipl.-Übers.(FH) – Geschäftsführerin vom BhW Niederösterreich